REGION

Das Land der begrenzten Unmöglichkeiten
von Grzegorz Potoczak

Hier werden Schuster zu Mystikern, Philosophen zur Brauereiarbeitern, Städte verdörfern und Dörfer beherbergen Theater mit Weltrenommé. Hier zündete man Feuer an mit aus dem "Faust" herausgerissenen Seiten und trank selbstgebrannten Schnaps aus Meißner Porzellan. Die einen kamen ungewollt von Workuta und Wladiwostok, die anderen wollten hier für die Ewigkeit bleiben und bekamen 30 Minuten. Die Begrenztheit der Unmöglichkeiten.

Und auch hier konnte man ohne sein Haus zu verlassen in 4 Staaten und Machtsystemen leben. So wie die Familie P. aus Schatzlar. Geboren als Untergebene der KuK-Monarchie wurden sie Bürger der Tschechoslowakischen Republik, um sich dann im Dritten Reich wiederzufinden; ihr Leben als Rentner verbrachten sie in der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik. Die Begrenztheit der Unmöglichkeiten.

Und auch hier findet man deutsche Skinheads beim Jagen auf Ausländer, von polnischen Händlern mit Nazi-Reliquien versorgt und von tschechischen Prostituierten bedient. Die Begrenztheit der Unmöglichkeiten.

Und auch hier kommt in einem kleinen Dorf eine Gruppe von Leuten zusammen, die in Zeiten der Diktatur eine unabhängige Bibliothek aufbauen, und in den Bergen treffen sich Oppositionelle aus der Tschechoslowakei und Polen. Die Begrenztheit der Unmöglichkeiten.

Es ist eine faszinierende Region, Obiekt der Begierde der Piasten, Habsburger und Hohenzollern. Schnittstelle der slawischen und germanischen Kultur, Ort milionenfacher Migration, politischer und kultureller Usurpation, persönlicher und gesellschaftlicher Tragödien.

Wir leben in einer in allen Bereichen sehr dynamischen Landschaft, im politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, ökologischen. Es ist eine Dynamik, die verwirrt, desorientiert. Eine einzige heute hier lebende Generation lernte die Wirtschaft des Kriegskommunismus, den freien Markt in seiner schärfsten Form (Krise 1929), die sozialistische Planwirtschaft und soziale Marktwirtschaft kennen. Sogar die heutigen 14jährigen wurden geboren umgeben von Stacheldraht und Minenfeldern.

Die gestrigen Wähler der SED, PVAP und KPTsch flohen aus der Diktatur, und jetzt würden sie am liebsten aus der Freiheit fliehen. Den "sozialistische Internationalismus" ersetzten nationale Interessen. Die im Geist des Egalitarismus dressierten Gesellschaften teilten sich in Sieger und Verlierer. Die ökonomische Zergliederung der Gesellschaft brachte Ängste, Xenophobie und Agressionen mit sich. Die politischen Grenzen wurden gleichzeitig zu Wohlstandsgrenzen. Diesen Prozessen und Veränderungen sind die Bewohner des polnischen, tschechischen wie auch deutschen Grenzgebietes ausgesetzt.

Die Perspektive der Erweiterung der Europäischen Union nach Polen und Tschechien stellt die Bewohner vor neue Herausforderungen. So richtig stabilisiert haben sich nicht einmal die nach 1989 entstandenen Strukturen, da sollen schon neue entstehen.

Das Leben und Arbeiten hier verlangen neue Kompetenzen, Verständnis makroökonomischer Prozesse und ihres Einflusses auf die lokale Entwicklung (Globalisierung). Erscheinungen multikultureller Gesellschaften mit ihren verbundenen Chancen und Risiken müssen kennengelernt, neue Formen der Pädagogik und Bildung gefunden werden.

Das Leben hier ist wie Bohumil Hrabal sagte: "zum Verrücktwerden schön; nicht, dass es so wäre, aber ich sehe es so".